HANS HELLMUT KIRST [ 1914-1989 ]
KEINER KOMMT DAVON Bericht von den letzten Tagen Europas
Dieser Bericht geht aus von den derzeitigen Machtkonstellationen der Weltpolitik, aber die auftretenden Personen sind frei erfunden. Den Gedankengängen, Publikationen und Aufrufen von Manfred v. Ardenne, Albert Einstein, Karl Jaspers, Charles-Noel Martin, Lauris Nordstedt, Robert Oppenheimer, Albert Schweitzer, Papst Pius XII. und den 18 Atomforschern des Göttinger Manifestes verdankt der Autor wertvolle Anregungen. Dieses Buch wurde geschrieben in Berlin, Juan-les-Pins, Sonneberg, Basel, Unna, Stuttgart, Grenoble und in Feldafing bei München. Der politische und militärische Teil wurde gestaltet unter Mitarbeit von JESCO VON PUTTKAMER.
Hans Hellmut Kirst hat ein apokalyptisches Buch geschrieben, keinen utopischen, sondern den Gegenwartsroman des Atomkrieges, der zwar noch nicht stattgefunden hat, aber täglich über uns hereinbrechen kann. Damit dies nicht geschieht, deshalb schrieb der Autor dieses bestürzende Werk. Die biblische Schöpfungsgeschichte drängt die Erschaffung der Welt auf sechs Tage zusammen. Kirst schildert die totale Vernichtung im selben Zeitraum. Er gibt einen Bericht der Zerstörung, in dem der Mensch all das wieder auslöscht, was er in Jahrtausenden geschaffen hat. Kirst legt nur jene Voraussetzungen zugrunde, die in unserer politischen und militärischen Struktur gegeben sind.
Unruhen greifen von Polen auf Berlin über, und während in Ost und West die verantwortlichen Stellen durchaus bemüht sind, Gewalttaten zu unterbinden, entgleiten die Ereignisse den politischen und militärischen Kommandostellen, sind alle Maßnahmen, Proklamationen und Befehle im Augenblick, da sie ergehen, durch die Ereignisse bereits überholt - und so treibt die Welt in den Untergang, den niemand gewollt hat. Die den Krieg vorbereitet haben, kommen in ihm um und alle anderen mit ihnen. Dabei erweist es sich, daß wir im Herzen Europas die ersten sind, über die alle Schrecken hereinbrechen. Der Untergang vollzieht sich schließlich im Zeitraum von vierundzwanzig Stunden - und "Keiner kommt davon".
In dieses erschreckend aktuelle Geschehen sind Schicksale hineinverwoben, die stellvertretend für viele gelten mögen. Da ist Michael Reiners, Ostexperte und Bonner Regierungsberater, der von Anfang bis Ende in den Brennpunkten steht und seinen klaren Kopf behält. Da ist sein Freund Wolf Beck, der Kaufmann aus Kairo, der Mann mit den Beziehungen nach Afrika und Asien. Und da ist als dritter in diesem Freundschaftstriumvirat Henry Engel, der Atomforscher, der von seinem buen retiro in den bayerischen Alpen aus Zuschauer und Kommentator der hereinbrechenden Katastrophe wird. Zu diesen drei Männern tritt Constance Schubert, die mit Beck verheiratet ist, Reiners liebt und allen dreien freundschaftlich verbunden bleibt. Da ist schließlich der junge Martin, der in der Spielzeugindustrie Sonnebergs arbeitet und das Mädchen Maria aus Schongau liebt, mit der er eine Fahrt durch Mitteldeutschland vereinbart hat. Über diese beiden und die ungezählten anderen, über Regierungsvertreter und Journalisten, über Diplomaten und Militärs, über Verzweifelte und Zyniker bricht in den Sommertagen irgendeines dieser Jahre das Verhängnis herein, das unaufhaltsam seinen Weg nimmt, und schließlich alles vernichtet, was das Leben lebenswert und die Erde bewohnbar gemacht hat.
Der Roman "Keiner kommt davon", dessen militärisch-politischen Ablauf und dessen atomare Katastrophen von anerkannten Spezialisten miterarbeitet wurden, ist ein Appell ohnegleichen an die Vernunft und an das Gewissen eines jeden von uns.
Impressum: © by Verlag Kurt Desch, München; Wien; Basel · Schutzumschlag-Entwurf von Wilhelm Neufeld, Traunstein/Obb. · Gesamtherstellung: Graphischer Großbetrieb R. Oldenbourg, München · Printed in Germany 1957.
[ OA | 1957 | 511+2=513 S. | 22,5 x 16 | Roter Leinenband m. farb. ill. SU: DM 16,80 | mit einer Karte (S. 513) ] =+
[ TG Katalog-53 | Illmer-152 | Serowy # 666-1 | dnb+ ]
Ein zeitgenössischer Artikel aus dem Jahr 1958:
"Geschäft mit der Angst" von Walter Ernsting
"Unter diesem Titel kritisiert ein Berliner Blatt den neuen Roman von Kirst, in dem der dritte Weltkrieg mit unerbittlicher Schärfe geschildert wird. Berlin wird von sowjetischen Truppen erobert und restlos zerstört.
Interessant ist, daß dieser Roman sowohl von West wie Ost abgelehrt wird; eine seltene Einmütigkeit. Aber ich frage mich nun erst recht: Ist diese Ablehnung berechtigt?
Wollte Kirst wirklich nur Geld mit seinem allzu realistischen Roman verdienen, oder wollte er die Welt vor einem Atomkrieg warnen? Nur diese beiden Gründe können Motiv des Autors gewesen sein. Stimmt der erste, dann begreife ich nicht, warum man nicht jeden Heimatroman als 'Geschäft mit der Tränendrüse', jeden Liebesroman als 'Geschäft mit der Liebe' und jeden Kriminalroman als 'Geschäft mit dem Mord' bezeichnet. Ist jedoch der zweite Grund das Motiv des Autors - und man sollte das gewissenhaft nachprüfen - so ist der Vorwurf gewisser Stellen gegen Kirst geradezu verantwortungslos!
Jeder Warner vor dem Atomkrieg hätte einen Orden verdient, eher jedenfalls als die Generale, die später seine Schlachten schlagen - oder die Politiker, die ihn entfachen!
Denn wenn dieser Roman, dessen Titel ich nicht nenne, ein Geschäft mit der Angst sein soll, so darf man getrost, die ganze Politik als ein solches bezeichnen. Hüben wie drüben - leider!
SF selbst scheint eine Ausnahme zu bilden, denn sowohl russische, deutsche und amerikanische Autoren warnen vor dem Krieg und schreiben für den Frieden. Je nach nationalem Charakter sieht das bei jedem anders aus - aber der Zweck bleibt der gleiche. Und die Freunde der utopischen Literatur verstehen diese Warnungen - ebenfalls hüben wie drüben. Diesmal: gottseidank!
Bei uns im Westen gilt jede Warnung vor der Atombombe als kommunistisch angehaucht; im Osten gilt jede Forderung nach vernünftiger Selbstverteidigung als 'imperialistische Kriegstreiberei'. Beides ist nicht immer zutreffend, bestärkt aber in der Auffassung, in einer etwas verrückten Welt zu leben.
In einer viel verrückteren Welt, als uns die Autoren der utopischen Literatur zu schildern vermögen.
Doch besser eine verrückte Welt, als eine von Atombomben aus der Ebene der Existenz gelöschte Welt.
Irrsinn ist heilbar - aber Neexistentialsimus vorerst noch nicht."
(Quelle: BLICK IN DIE ZUKUNFT # 19/20 - Sep/Okt 1958)
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